Odenwaldklub
Groß-Zimmern e.V.

wandern mit dem Odenwaldklub




Das Marschtriebwerk in uns

Was ist die richtige Belastung beim Wandern?

Aus gegebenem Anlass machen wir jetzt ein theoretisches Seminar in Raumfahrttechnik und Biochemie. Ich werde zeigen, dass in jedem von Euch eine 3-Stufen-Rakete steckt.

Was bewegt einen Muskel?

Nur Adenosintriphosphat (ATP), und nichts anderes, ist in der Lage dafür zu sorgen, dass sich ein Muskel anspannt und entspannt. Wenn es in Adenosindiphosphat (ADP) zerfällt, wird Energie für die Muskulatur freigesetzt.

19 Schritte

Versuch: aus dem Fernsehsessel aufspringen und flott die Treppe hinauflaufen.
Was passiert? Nach ca. 19 bis 20 Schritten oder maximal 10 Sekunden werden die Beine bleischwer und es geht nicht mehr weiter weil alles ATP in ADP zerfallen und damit aufgebraucht ist.Wir werden aber garantiert nicht nach 19 Schritten am Ziel ankommen. Was machen wir jetzt? Wieso können wir stundenlang wandern? Da muss es doch etwas anderes geben!

Aufladung

Damit sich der Muskel erneut zusammenziehen kann, muss ADP wieder in ATP zurück verwandelt werden. Dazu gibt es 3 verschiedene Stoffwechselprozesse zur Energie­bereit­stellung, die sich dazu der Nahrungskalorien bedienen und die nacheinander benutzt werden.

1. Stufe: anaerobe Glykolyse (= Vergährung ohne Sauerstoff)

Dabei werden Kohlenhydrate ohne Zuhilfenahme von Sauerstoff quasi vergoren.
Das Endprodukt ist Milchsäure, die ebenfalls die Beine schwer werden lässt und schmerzhafte Krämpfe verursacht. Außerdem ist der Verbrauch an Kohlenhydraten extrem hoch. Deshalb kann diese Art der Belastung nicht lange aufrecht erhalten werden, sie ermöglicht aber maximale Belastungen und wird immer dann verwendet, wenn es besonders anstrengend ist.

2. Stufe: aerober Kohlenhydratstoffwechel (= Verbrennung mit Sauerstoff)

Wenn nach einigen Minuten Herz und Lunge genügend Sauerstoff liefern können, zündet die aerobe Energiebereitstellung. Der Trick dabei: Für die gleiche Leistung benötigt der aerobe Stoffwechsel nur ein 20stel der Kohlenhydratmenge wie bei der anaeroben Glykolyse. Unsere Kohlenhydratvorräte reichen deshalb für gut 1,5 bis 2 Stunden Belastung. Das recht aber immer noch nicht für lange Wanderungen?!

3. Stufe: Fettverbrennung (das Langstrecken-Marschtriebwerk)

Wenn die Belastung relativ gering ist und das Kohlenhydratfeuer schon richtig lodert, dann startet der Körper die Verbrennung der freien Fettsäuren im Blut. "Die Fette verbrennen im Feuer der Kohlenhydrate!" Dann haben wir zwar fast unbegrenzte Energievorräte zur Verfügung, benötigt aber ca. 10 % mehr Sauerstoff als bei der 2. Stufe, dem aeroben Kohlen­hydrat­stoff­wechsel. Deshalb kann sich der Körper diesen Luxus nur leisten, wenn a) die Belastung langsam gesteigert wurde und sie b) nur submaximal ist.

Zusammenfassung:

Jede dieser Raketenstufen kann nur von der vorhergehenden Stufe gezündet werden.
Jede Stufe benötigt eine Mindestbrenndauer, bis die nächste Stufe gezündet werden kann.
Der aerobe Fettstoffwechsel ist unser Langstrecken-Marschtriebwerk.

Was nützen uns diese Erkenntnisse beim Wandern?

Schwach anfangen und dann .... , nicht stark nachlassen sondern stark finishen!
Alte Marathon-Regel: Wer zuletzt rennt, rennt am besten!

Merksatz 1: Der Beginn der Belastung muss immer so schonend wie möglich erfolgen.

Mit der gleichen Energie, die man im Kaltzustand auf einem einzigen Kilometer verbraucht, kann man im "eingelaufenen Zustand" rund 20 km weit kommen. Das ist bei jedem von uns so und nicht nur bei einem selbst, wie häufig entschuldigend gesagt wird, sondern auch bei unseren Mitwanderern, die sich auch über ein gemäßigtes Anfangstempo freuen.

Merksatz 2: Mit Geduld packt man jeden Berg!

Es ist nicht nur bedeutend weniger anstrengend sondern gleichzeitig auch insgesamt schneller, wenn man eine Steigung langsam und gleichmäßig geht, statt zu schnell anzufangen und dann zwischendrin immer wieder stehen bleiben.

Der Wanderführer sollte am Beginn der Steigung brutal langsam vor der Gruppe "herschleichen". Wem das nach 10 Minuten zu langsam ist, der darf dann vorgehen, aber nicht früher!

In diesem Sinne wünsche ich viele schöne Wanderungen!
Hans-Jürgen Badior