Odenwaldklub
Groß-Zimmern e.V.

wandern mit dem Odenwaldklub

Wanderbuch 90 Jahre OWK Gr-Zi
Die Natur verändert sich

Von Dr. Lothar Jacob
1. Vorsitzender des NABU-Kreisverbandes Dieburg

Autor

http://www.nabu-gross-zimmern.de
NabuSpecht Mittelspecht an stehendem Totholz

Das Interesse an der Natur und die Sinnesfreuden beim Wandern durch Wald, Feld und Flur liegen meist eng beisammen. Es freut uns, dass der OWK auch nach 90 Jahren immer noch guten Zuspruch erfährt, unternehmungsfreudig daherkommt und immer wieder attraktive Wanderziele anbietet. Auf diesem Wege werden viele Wanderer an die Natur herangeführt. Wir bemerken aber auch, dass sich viele Dinge verändern.

Ob man nun gemäß Peter Handke keinen Baum und kein Wasser überhören soll (Über die Dörfer, 1981) oder mit Hermann Löns durch das bunte Land geht und bemerkt, dass alles Schiefe und Krumme entfernt wird (Verkopplung 1909), muss jeder für sich selbst entscheiden, was gefällt oder als störend empfunden wird. Auch wenn wir nur den Wechsel vielgestaltiger Landschaftsformen als Ablenkung vom Alltag genießen oder uns am Anblick bunter Blumen oder knorriger, alter Bäume erfreuen, sollten wir doch darauf bedacht sein, diese Dinge der Nachwelt halbwegs unzerstört zu übergeben.

Wandern liegt im Trend, Bücher über den Wald sind Bestseller und die „Promenadologie“ — zu Deutsch Spaziergangswissenschaft — untersucht sogar kulturwissenschaftlich, wie sich die Umweltwahrnehmung erweitern lässt. Dabei sind derzeit viele besorgniserregende Veränderungen offensichtlich. Alle diejenigen, die den Aufenthalt in der Natur nicht nur als Entspannungstherapie betrachten, werden spätestens beim Anblick der Sturmschäden im Wald nachdenklich.

NATUR — EIN KULTURRAUM VOM MENSCHEN GEMACHT

Apropos „Natur“: Wir bewegen uns eigentlich immer in einem vom Menschen geschaffenen Kulturraum. Unberührte, sich selbst überlassene Natur existiert bei uns nicht mehr. Daher müssen wir auch sorgfältig darauf achten, dass das, was wir als unberührte Natur bezeichnen und eigentlich auf menschliches Gestalten zurückzuführen ist, erhalten wird. Und zwar in der Form, dass die geeigneten Lebensräume für die dort vorkommenden Tier- und Pflanzenarten weiterhin attraktiv bleiben. Auf der einen Seite steht die fantastische Vielfalt der Lebensformen und deren gegenseitigen Abhängigkeiten in Ökosystemen, auf der anderen Seite unser noch lückenhaftes Wissen über das Zusammenwirken der zahlreichen Faktoren. Wich-tig ist es gleichermaßen, die Bevölkerung über die Zusammen-hänge zu informieren und das Bewusstsein für das zu schärfen, was in unserer Umwelt stattfindet.

Oftmals können beim gemeinsamen Wandern Informationen und Erklärungen zum Verständnis der Ökosysteme weiterge-geben werden, die einem „Einzelgänger“ verborgen bleiben. Ein Beispiel sind die wunderschönen Streuobstwiesen, die sich früher als ein Gürtel um die Siedlungen legten. Sie lieferten nicht nur Obst für die Bevölkerung, sondern boten auch Tieren und Pflanzen ein Zuhause. Viele dieser Streuobstbestände sind verschwunden. Die neu angepflanzten Bäume brauchen viele Jahre, um wieder zu einer artenreichen Streuobstwiese her-anzuwachsen, wenn sie es bei den zu erwartenden immer trockeneren Sommern überhaupt schaffen.

DER WALD VERJÜNGT SICH SELBST

Es gibt noch viele Zusammenhänge in den natürlichen Abläu-fen, die wir nicht kennen und eigentlich erforschen müssten. Dass die Klimaveränderung aber entscheidende Veränderungen mit sich bringt, macht eine Wanderung durch die umlie-genden Wälder eindrücklich klar. Trockenheit und Windbruch haben den Wald in einem Ausmaß umgeformt, das die Forst-beamten vor ein fast unlösbares Problem stellt. Vielleicht ist hier einfach Mut angesagt und man sollte den Wald sich selbst verjüngen lassen, auch wenn das Ergebnis zunächst unge-wohnt erscheint und der Wald „unaufgeräumt“ aussieht.

OHNE TOTHOLZ KEIN LEBEN IM WALD

Es gibt immer wieder Bemerkungen zum Thema Totholz: „Der Wald ist aber ganz schön unordentlich hier, das hätte es frü-her nicht gegeben!“ Im gleichen Atemzug wird dann aber bedauert, dass die Vogelwelt zurückgeht und einige Arten wie beispielsweise der Gimpel kaum noch zu sehen sind. In die-sem Fall muss man eben darauf hinweisen, dass viele heimische Vogelarten von den Insekten leben, die ihre Entwick-lungsstadien in abgestorbenem Holz durchlaufen. Auch Fledermäuse stellen bestimmte Ansprüche an ihren Lebensraum. Fast alle heimischen Fledermausarten nutzen alte Bäume als Wochenstuben. Basierend auf Untersuchungen in den letzten beiden Jahren konnte festgestellt werden, dass einige unserer Waldgebiete für waldgebundene Fledermausarten eine herausragende Rolle als Nahrungs- und Quartierhabitat einnimmt, darunter Bechsteinfledermaus, Brandtfledermaus, Fransenfledermaus und Braunes Langohr. Ohne eine gewisse Menge Totholz gibt es eben kein Leben im Wald.


GENERALISTEN HABEN ES LEICHTER

Dabei geht es den Waldvögeln noch verhältnismäßig gut, wenn man dazu im Vergleich die Vogelarten betrachtet, die in der Feldgemarkung leben oder auf den Lebensraum Wiese angewiesen sind. Die europäischen Bestände der Feld- und Wiesenvögel sind von 1980 bis 2016 um 57 Prozent zurückgegangen. Bei den Waldvögeln sind es nur sechs Prozent. Uns als aufmerksamen Naturbeobachtern ist längst aufgefallen, dass in der Gersprenz-Aue der Kiebitz kaum noch anzutreffen ist und die Insektenvielfalt stark zurückgegangen ist. Auch die moderne Landnutzung, der Anbau von Monokulturen und der Pestizideinsatz tragen dazu bei, dass vielen Vögeln die Nahrungsgrundlage entzogen wird. Zur Veränderung der heimischen Fauna und Flora kann man generell sagen, dass die Arten, die speziell an die heimischen Lebensräume angepasst sind, zuerst verschwinden werden. Die Generalisten unter den Tier- und Pflanzenarten werden es einfacher haben, sich den veränderten Bedingungen anzupassen. Mit den „Spezialisten“ geht leider ein Stück der heimischen Identität unwiderruflich verloren. Dazu kommen wärmeliebende Arten, wie wir am vermehrten Auftreten von Holzbiene, Gottesanbeterin und Taubenschwänzchen bereits jetzt merken.

ERFOLGSGESCHICHTE STÖRCHE

Umso erfreulicher ist, dass wir bei den Wanderungen am Reinheimer Teich oder in den Hergershäuser Wiesen in den letzten Jahren wieder viele der bei uns früher sehr häufigen Störche beobachten können. Gerade der Weißstorch ist eine Erfolgsgeschichte im Naturschutz. Vor 30 Jahren hat es in Hessen keine Störche mehr gegeben, nun brüten bei uns in der Gersprenzaue mehr als 40 Storchenpaare.

Ob wir uns nun beim Wandern dem „Waldbaden“ — einer neuen Bewegung aus Japan hingeben oder beim Schritte zählen unseren Stress abbauen, ob wir versuchen, die Gesänge der Vögel den einzelnen Arten zuzuordnen oder die einheimischen Pflanzen und Wildkräuter kennenlernen möchten, wir sollten immer daran denken, wie empfindlich die Natur reagieren kann. Im schlimmsten Fall können wir das verlieren, was uns so sehr gefällt. In welche Richtung sich unsere Natur in der näheren Zukunft entwickelt, wird in starkem Maße von unserem Handeln abhängig sein! Bekenntnisse und Ziele, die immer wieder verschoben und aufgeweicht werden, helfen weder der biologischen Vielfalt noch dem Menschen.

Der Mensch braucht die Natur, nicht umgekehrt!

So wünscht der NABU allen OWK-Mitgliedern noch viele, tolle Wanderungen in einer intakten Landschaft, durch blühende Wiesen und grüne Wälder, entlang sauberer Bäche und Flüsse zu lohnenden Ausflugszielen.

Nabu Blick von Kl-ZiWirklich bunte Wiesen werden immer seltener. Mit dem Aussterben der Pflanzengesellschaften verschwinden auch viele Insektenarten

Nabu SorchennestStorchennest auf der Teichscheune am Reinheimer Teich